Auf Kunstlicht-Safari

Autor: Maximilian Blaschke, 2019

Begleiten Sie uns auf eine erhellende Expedition durch den Alltag

Entdecken Sie einen gewöhnlichen Büro-Arbeitstag neu. Machen Sie mit uns gemeinsam künstliche Lichtquellen ausfindig und schulen Sie auf unserer Kunstlicht-Safari Ihren Blick für die Artenvielfalt.

Folgenden Fragen wollen wir mit Ihnen gemeinsam nachgehen:

  • Wo überall begegnen uns eigentlich künstliche Lichtquellen?
  • Wie viele davon nutzen wir selbst?
  • Und wie viel Kunstlicht konsumieren wir indirekt durch den Gebrauch anderer mit?

Sind Sie soweit? Dann los!

Wir starten unsere Expedition an einem Montag, Mitte Januar, in Deutschland.

6:00 Uhr – Zeit zum Aufstehen

Blau leuchtend klingelt uns der Wecker aus dem Bett. Wir schalten ihn aus und die Nachttischlampe ein. Draußen ist es finster. Unsere Bessere Hälfte schläft noch selig. Müde rollen wir uns aus dem Bett, schlüpfen in die Pantoffeln und begeben uns Richtung Bad. Der Weg dorthin wird durch ein kleines LED-Nachtlicht erhellt. Unterwegs wecken wir noch Tochter und Sohn. Im Bad an­gekommen schalten wir die Deckenbeleuchtung ein und begeben uns nach einem kurzen Zwischenhalt auf der Toilette unter die Dusche.

Am liebsten hätten wir uns noch länger vom warmen Wasser berieseln lassen, aber die knapp bemessene Zeit mahnt uns zur Eile. Neugierig steigen wir während des Abtrocknens auf die Waage. Diese vermeldet auf ihrer Anzeige in bedrohlichem Rot unser Gewicht. Ausgerechnet rot! Warum nicht grün? Grün wirkt viel verständnisvoller.

Frisch geduscht und angezogen begeben wir uns in die Küche und schalten auch hier das Licht ein. Leise machen wir uns an die Zubereitung des Frühstücks. Verschlafen taumeln Sohn und kurz darauf auch Tochter zu ihren Plätzen, setzen sich und verzehren träumend die ihnen zugedachten Por­tionen.

Ein Blick auf das Smartphone verrät uns das heutige Wetter. Auch unsere Morgenzeitung rufen wir digital ab. Mit dem Prüfen von Neuigkeiten während des Frühstücks rüsten wir uns für den anstehenden Tag.

Nach dem Frühstück begeben wir uns zum Zähneputzen zurück ins Bad. Die grün leuchtende Ladezustandsanzeige der Zahnbürste vermeldet ihre Betriebsbereitschaft. Wir stecken den Bürstenkopf auf, pressen etwas Zahnpasta aus der Tube und putzen unsere Zähne.

Inzwischen sind unsere Kinder ebenfalls präpariert und bereit für ihren Schultag. Wir ziehen uns warm an und öffnen die Wohnungstür. Beim Öffnen drängt sich uns schummriges Energiesparlampenlicht aus dem Treppenhaus entgegen. Gerade kommt der Nachbarsjunge die Treppe heruntergesaust. Stolz zeigt er uns sein bunt blinkendes Spielzeugauto, bevor er es zum Schutz vor der Kälte in seine Ja­ckentasche gleiten lässt. Schon ist er zur Haustür hinaus.

7:15 Uhr – Auf dem Weg ins Büro

Draußen ist es immer noch finster. Wir verabschieden unsere Kinder und folgen ihnen mit unserem Blick noch eine Weile. Wie an einer Schnur aufgefädelt, flankieren LED-Straßenlaternen mit ihren Kunstmonden den Weg. Hinter uns beginnt ein Nachbar, dick verpackt wie ein Inuit, seine Autoscheiben vom Eis zu befreien. Das Kratzen und Scharren holt uns aus den Gedanken zurück.

Auf dem Weg zur Straßenbahn fallen uns die zugefrorenen neuen LED-Ampeln auf. Im Gegensatz zu den bisher verwendeten Halogenlampen entwickeln die LEDs anscheinend nicht genügend Wärme, um die Ampeln eisfrei zu halten. Als es grün unter dem Frost hervorschimmert, überqueren wir eilig die Straße. Unsere Bahn fährt gerade ein.

Wir betreten den hintersten der drei taghell ausgeleuchteten Wagons und finden in einer Sitzgruppe noch einen freien Platz. Uns gegenüber sitzt ein junger Herr mit Kopfhöhrern, seinen Rumpf im Takt der Musik wiegend und mit seinen Lippen stumm den Text formend. Seine Kopfhörer blinken den Rhythmus. Mal blau, dann wieder grün. Die Dame neben uns ist mit ihrem Smartphone beschäftigt. So wie die meisten anderen Fahrgäste auch – ganz gleich ob jung oder alt.

Das Gesicht nahe an der Fensterscheibe, blicken wir nach draußen und beobachten das Lichter-Wirrwarr der Motorroller, Autos und Lastwagen im morgendlichen Berufsverkehr. Mühsam den Dynamo in Trab haltend, huschen Radfahrer flimmernd und grell blendend vorüber. An einer Kreuzung kommt unsere Straßenbahn neben einer Autoschlange zum Stehen. Die Autos rollen im Schritt­tempo an unserem Fenster vorbei. In den Fahrzeugen sitzt zumeist nur ein einzelner Passagier. Wir beobachten, wie einige von ihnen Smartphones und Navigations-Systeme bedienen oder gestenreich über die Freisprecheinrichtung telefonie­ren.

7:45 Uhr – Im Büro

Die Sonne erwacht allmählich aus ihrem Schlaf. Am Tätigkeitsort angelangt, erwarten uns von Kunstlicht hell erleuchtete Flure und Räume. Wir wünschen unseren Kolleg*innen einen „Guten Morgen“, tauschen ein paar Neuigkeiten aus und gehen die Geschenkeliste für Kollegin Schmidt durch, die ja morgen Geburtstag hat. Kuchen, Glückwunschkarte, Reformhaus-Gutschein und Blumen soll sie erhalten. Alle vom Flur haben zusammengelegt und wir sind mit der Beschaffung der Blumen betraut. Nachdem alles besprochen wurde, verabreden wir uns zum Mittagessen in der Kantine und begeben uns in die kleine Teeküche auf unserem Flur.

Mit Betätigen des Kippschalters wecken wir die Verteilersteckdose. Das flackernde rote Lämpchen zeigt uns die Versorgung mit Strom an. Mit geschickten Handgriffen präparieren wir routiniert die Kaffeemaschine. Beim Einschalten leuchtet ein blaues Anzeigefeld auf. Wir drücken die gewünschte Kombination der Knöpfe und erwarten freudig die Fertigstellung des Lebensgeister weckenden Gebräus. Vom Kaffeeduft angelockt, reckt Kollege Maier seinen Kopf zur Tür herein. Nanu?! Was trägt er denn auf der Nase? Eine Brille mit gelben Gläsern? Unserem fragenden Blick antwortet Kollege Maier schelmisch, das wäre wegen des Gute-Laune-Effekts. Gelb wirke Stimmungsaufhellend. Dann fügt er etwas ernster hinzu, diese Brille würde ihm helfen, seine Migräne zu mindern, die durch die neu angeschafften Bürobildschirme zugenommen habe. Ein Freund hat ihm die Filterbril­le empfohlen. Diesem hilft sie dabei epileptische Reaktionen abzuwenden, welche insbesondere durch grell flimmernde Lampen sowie Bildschirme provoziert werden. Die blauen Lichtanteile herauszufil­tern, mache da schon viel aus.

Den frisch gebrühten Kaffee im Gepäck, begeben wir uns zu unserem Büro. Da die Sonne noch nicht genügend Tageslicht durch die Fenster scheinen lässt, schalten wir die Deckenbeleuchtung ein. Flackernd beginnen die Leuchtstoffröhren den Raum zu erhellen.

Das Einrichten unseres Arbeitsplatzes geschieht ganz bequem per Knopfdruck. Ein weiß blinkendes LED-Lämpchen signalisiert kurz darauf die Betriebsbereitschaft des Computers. Das Kontrolllämpchen der Tastatur leuchtet indes orange und der Abtastbereich an der Unterseite der Maus rot. Die Energieanzeige am Dru­cker wiederum leuchtet grün und jene am Monitor blau. Weiß-bläulich strahlen uns das Bedienfeld des Druckers und der Bildinhalt des Monitors entgegen.
Sind alle erforderlichen Programme geladen und genügend Kaffee in Griffweite bereitgestellt, kann sodann mit dem Tagwerk begonnen werden. Die Zeit bis zur Mittagspause bringen wir nun vorwiegend mit Bildschirmarbeit zu.

10:30 Uhr – Die Sonne blendet

Nun scheint die Wintersonne genau auf unseren Monitor, was selbstverständlich die Sicht erschwert. Deshalb lassen wir das Rollo zur Hälfte herunter und setzen uns wieder vor den Bildschirm. Da es uns nun allerdings am Tisch zu dunkel geworden ist, schalten wir die LED-Tischleuchte ein. Diese ersetzt fortan jenes Tageslicht, dass wir mit dem Rollo erfolgreich ausgesperrt haben.

Das Telefon klingelt. Die Schnellwahltaste „3“ leuchtet rot auf. Frau Lehmann aus der Buchhaltung ist am Apparat. Sie geht mit uns nochmals den Abschlussbericht durch. Im Anschluss an das Gespräch wenden wir uns wieder unserer vorherigen Schreibtätigkeit zu.

12:00 Uhr – Mittagspause

Im Fahrstuhl ist eine der beiden Leuchtstoffröhren defekt und haucht gerade flackernd ihr Lebenslicht aus. Als der Fahrstuhl uns endlich wieder freigibt, stehen wir auch schon am Eingang der Kantine.

Die Kantine ist trotz der großen Fensterfront zusätzlich vollständig durch Kunstlicht beleuchtet. Vom blitzblanken Bodenbelag reflektiert das auftreffende Deckenlicht. Das ebenfalls beleuchtete Fluchtweg-Schild fällt zwischen all den Lichtern kaum mehr auf. Unter der grellen Beleuchtung der Auslage erhält das Speisenangebot einen ungesund wirkenden grünlich-grauen Anstrich.

Wir setzen uns zu unseren Kolleg*innen an einen der direkt am Fenster befindlichen Tische. Für die Terrasse ist es leider noch zu kalt. Während wir unsere Mahlzeit vertilgen, werden hier und da per Smartphones Schnappschüsse und selbst aufgenommene Videos herumgezeigt. Darunter auch eine Aufnahme aus dem Baumarkt, die wild flimmernde LED-Lampen in der Beleuchtungsabteilung zeigt. Neu ist nicht immer auch besser, lautet die einstimmige Meinung am Tisch.

Zurück in unserem Büro, schalten wir abermals die Deckenbeleuchtung an. Da die Sonne bereits weitergezogen ist, ziehen wir das Rollo nun wieder ein und fahren mit unserer Bildschirmarbeit fort.

13:30 Uhr – Der Himmel verdunkelt sich

Eine graue Wolkendecke schiebt sich behäbig vor die Sonne und verdunkelt so auch unser Büro. Es ist also wieder Zeit für die Tischleuchte.

Es klopft. Herr Schulze aus der Poststelle tritt mit einem großen Packen Briefe ein. Wir nehmen den Packen entgegen und sortieren die Post in unsere Ablage. Dann wenden wir uns wieder unserem Bildschirm zu.

16:30 Uhr – Feierabend

Die Sonne hat sich noch einmal aus der Wolkendecke befreien können und versinkt nun bereits orange-rot strahlend am Horizont. Wir packen unsere Sachen, ziehen uns an, verabschieden uns von den Kolleg*innen und machen uns auf den Heimweg. Bevor wir in die Straßenbahn steigen, wollen wir noch schnell in den nahegelegenen Supermarkt und in den Blumenladen.

Es beginnt bereits zu dämmern, als wir den Supermarkt erreichen. Der Parkplatz ist vom sich überschneidenden Licht der Autoscheinwerfer durchzogen und zusätzlich von Flutlicht erhellt. Selbst die leeren Fahnenmasten wurden mit himmelwärts gerichteten Strahlern bedacht. Auch im Innern ist der Supermarkt für unseren Geschmack überbeleuchtet. Zügig erledigen wir unseren Einkauf und wählen eine Kasse mit Band. Die Selbstverbuchung ist zwar auffällig bunt beleuchtet, wird jedoch nur verhalten aufgesucht. Die Kassiererin zieht unsere Ware über ihren rot leuchtenden, flimmernden Barcode-Scanner, worauf bei jeder Registrierung in der Kasse ein Piepen ertönt. Sogleich wird der abgepiepte Artikel auf einem kleinen Bildschirm vor uns der Liste unseres Einkaufes hinzugefügt. Die Kassiererin nennt uns den zu zahlenden Endbetrag und wir schieben die Bankkarte in das Lesegerät. Auf dem Gerätebildschirm erscheint die Aufforderung, eine Geheimzahl einzugeben und diese zu bestätigen. Anschließend bestätigt uns das Lesegerät die erfolgreiche Zahlung. Wir entnehmen unsere Karte, stecken sie zu­rück ins Portemonnaie, packen unseren Einkauf in den mitgebrachten Stoffbeutel und machen uns auf den Weg zum Blumenladen.

Unser Weg führt vorbei an hellen Schaufenstern mit LED-Lichterschläuchen, bunt blinkenden „OPEN“-Schildern sowie einem alten Neon-Schild, das eine dampfende Kaffeetasse zeigt. Dutzende Fernseher versuchen vergeblich auf ein Angebot aufmerksam zu machen. Doch kaum jemand auf dem Fußweg nimmt beim Vorbeieilen Notiz von all der Reklame und Deko.

Wir sehen beleuchtete Angebotstafeln der Imbisse, Cafés und Bistros. Dazwischen die beleuchteten Schilder von Friseur-Salon, Reisebüro, Schlüsseldienst, Nagelstudio, Sonnenstudio, Schuhfachgeschäft, Sanitäts­haus, Obsthändler, Bäcker, Fleischer, Hinterhof-Werkstatt sowie das Schild eines Zeitschriftenladens mit Postannahmestelle. Ein bunt leuchtender Schilderwald, der den Standort des Blumenladens nicht ohne Widerwillen preisgibt.

Schließlich finden wir ihn doch, lassen uns einen schönen Strauß binden und begeben uns zur auffällig gelb ausgeleuchteten Haltestelle. Dort stehen bereits einige Wartende. Zum Sitzen ist es zu kalt. Etwas abseits steht ein Herr mit bläulich leuchtender E-Zigarette. Wir warten auf die Straßenbahn mit der roten Linienanzeige. Eine gelbe Linie nähert sich. Dann eine Grüne. Dann ein Bus. – Alle im Innern taghell beleuchtet. Die orangefarbene Abfahrtsanzeige nennt uns zwar eine andere Reihenfolge, doch fährt unsere Bahn zuletzt ein.

Wieder geht es durch den lichtdurchtränkten Berufsverkehr. Wir fahren vorbei an szenisch beleuchteten Hausfassaden, Brücken, Bäumen. Digitale Werbetafeln stehen am Straßenrand und len­ken grell blendend vom Verkehrsgeschehen ab. Aus den Augenwinkeln sehen wir sie flimmern und erinnern uns wieder an das Baumarktvideo von heute Mittag. Digitale Baustellen- und Geschwindigkeitsanzeigen unterstützen die Ampeln beim Regeln des Verkehrs. An einer roten Ampel, direkt hinter der Kreuzung, leuchtet ein rotes Apothekenschild. Die Ampel schaltet auf grün, das Apothekenschild bleibt rot. Ein Hund mit grün blinkendem Halsband tippelt den Gehweg entlang. Ihm folgt an einer Leine ein Jogger in neongelber Montur und bläulich leuchtender Anzeige am rechten Arm, die er konzentriert beobachtet. Jemand schiebt sein Fahrrad auf dem Fußgängerweg entlang. Die entgegenkommenden Passanten wenden sich geblendet und vom trägen Geflimmer der Fahrradlampe genervt ab oder halten sich schützend eine Hand vor das Gesicht. Der Schiebende bemerkt von all dem nichts. Sein Smartphone-Bildschirm beansprucht alle verfügbare Aufmerksamkeit.

An unserer Zielhaltestelle angekommen, steigen wir aus. Die letzten Schritte bis nach Hause legen wir wieder unter dem Licht der Straßenlaternen zurück. Dekorative Überbleibsel von Weihnachten wie Schwippbögen, Weihnachts- und Schneemänner, Schneeflocken oder Sterne leuchten und blinkern bunt hinter den Fensterscheiben. An einer Dachrinne hängen LED-Tropfen und simulieren hernieder rieselnden Schnee. Ein bläuliches Wabern dringt durch einzelne Fenster nach draußen zur Straße. Es entstammt Fernsehern und PC-Monitoren.

Wir erreichen unseren Hauseingang. Das Hausnummernschild wie auch das Klingelschild sind zur erleichterten Orientierung beleuchtet. Der Briefkasten hingegen nicht. Wir schauen hinein, finden ihn jedoch leer vor. Bunt blinkende Kinderschuhe hopsen an uns vorbei.

17:45 Uhr – Wieder zu Hause

Im Hausflur betätigen wir den Lichtschalter, woraufhin sich abermals schummriges Energiesparlampenlicht ausbreitet. Wir steigen die Stufen bis zur Wohnungstür hinauf und schließen sie auf. Im Flur leuchten uns zur Begrüßung die Kontrolllämpchen des DSL-Routers entgegen. Wir schalten das Flurlicht ein und begeben uns mit den Blumen für Kollegin Schmidt in die Küche. Auch hier schalten wir das Licht ein. Damit die Blumen morgen auch frisch sind schneiden wir die Stängel an, suchen eine Vase, füllen diese mit Wasser und stecken die Blumen hinein. Dann hängen wir Jacke und Schal an die Garderobe. Mütze und Handschuhe verstauen wir in den Jackentaschen. Mit un­serem Einkaufsbeutel zurück in der Küche angekommen, verräumen wir den Einkauf in Vorrats-und Kühlschrank. Letzterer ist von innen beleuchtet und außen mit einer digitalen Temperatur-Kontroll­anzeige ausgestattet. Auf dem Küchentisch finden wir eine Nachricht von unserer Tochter. Sie trifft sich mit Freunden im Café um die Ecke und geht anschließend mit ihrer besten Freundin ins Kino.

Auf der Kommode im Wohnzimmer blinkt der Anrufbeantworter orange. Wir schalten den Halogen-Deckenfluter ein. Zwei Anrufe in Abwesenheit werden uns angezeigt. Wir hören Sie ab. Eine Frau Müller fragt nach einem freien Termin für die Dauerwelle. Das kommt ab und an vor, da ein Friseur-Salon in unserer Stadt eine ähnliche Telefonnummer wie wir hat. Der zweite Anruf kam von unserer Mutter. Wir nehmen den Hörer in die Hand, drücken die Kurzwahltaste „1“ und sichern un­serer Mutter auch diesmal den all-samstäglichen Besuch zu. Anschließend machen wir Frau Müller auf den Zahlendreher aufmerksam und nennen ihr die korrekte Telefonnummer des Friseur-Salons.

Hiernach gehen wir ins Bad, schalten das Licht ein und stellen eine Wäsche an. Die Anzeige der Waschmaschine leuchtet in hellem Grün und zählt nach dem Starten des Programms die Zeit bis zum Abschluss des Waschvorgangs herunter.

Nun machen wir uns daran, das Abendessen zuzubereiten. Das Bedienfeld der Herdfläche leuchtet in kräftigem Rot. Während der eine Teil des Abendessens im Topf auf dem Herd köchelt, werfen wir ab und an einen prüfenden Blick durch die Scheibe der Backofentür in das beleuchtete Innere, um den Garfortschritt zu überwachen. Nebenbei schalten wir den Geschirrspüler ein, dessen Bedienfeld nun in verhaltenem Weiß zu leuchten beginnt. Die Kinder hatten seinerzeit gleich nach der ersten Inbetriebnahme einen Aufkleber von Sid, dem Riesenfaultier aus Ice Age darübergeklebt, weil sie das grelle Weiß scheußlich fanden.

Unser Sohn ist vom Training zurück und recherchiert nun am Computer für seine Hausaufgaben, bis das Abendessen fertig zubereitet ist.

Nach dem Abendessen schalten wir erneut das Wohnzimmerlicht ein und rufen über den Computer noch kurz unsere empfangenen Mails ab. Ei­nige Antworten und neue Anfragen später, bestel­len wir das von unserer Schwester empfohlene Nahrungsergänzungsmittel. Der Beschreibung zu­folge wirkt es förderlich auf das Konzentrationsvermögen. Genau das Richtige also, bei täglicher Bildschirmarbeit. Nun kommt uns auch wieder die Blaulicht-Filterbrille in den Sinn, von der Kollege Maier so begeistert berichtet hat. Wir beschlie­ßen, ihn morgen zu fragen, ob wir die Brille mal test­weise aufsetzen dürfen. Per Online-Banking prüfen wir noch schnell unsere Zahlungsein- und Aus­gänge auf dem Konto, bis uns unser vom vie­len Sitzen im Büro verspannter Rücken zur Lockerung mahnt. Auf der Rüttel- und Schüttelmaschine wählen wir heute das zweite Programm mit der Fern­bedienung aus. Auf der Anzeige ist in leuch­tendem Rot „P2“ zu lesen und die verbleibende Zeit für dieses Programm wird sekundengenau heruntergezählt. Mit einem Piepen endet unsere Gymnas­tik.

Im Anschluss an die maschinelle Lockerung entschließen wir uns, noch etwas zu lesen. eBook-Reader oder doch lieber analoges Buch? Wir entscheiden uns für Letzteres, schalten die Leselampe mit dem angenehmen Glühbirnenlicht ein und machen es uns im Sessel bequem.

Nach einer Weile bekommen wir Lust auf einen warmen Tee. Wir gehen in die Küche, betätigen den Lichtschalter, befüllen den Wasserkocher und schalten ihn an. Ein orangefarbenes Licht zeigt uns mit seinem Leuchten, dass wir den Schalter getroffen haben. Der Wasserkocher beginnt zu rauschen.

Seitlich von uns leuchtet eine rote „0“. Damit gibt uns der Geschirrspüler zu verstehen, dass er fertig abgewaschen hat. Wir räumen ihn aus und gießen uns einen Tee auf.

Unsere Bessere Hälfte kommt gerade zur Wohnungstür herein, hängt die Sachen an die Garderobe und begrüßt uns mit einem fröhlichen Lächeln und einem Kuss. Zurück in der Küche wärmen wir das Abendessen noch einmal auf und unsere Bessere Hälfte verspeist es mit großem Appetit. Gegenseitig berichten wir uns von unseren heutigen Erlebnissen. Während dessen kommt auch unsere Tochter nach Hause. Gegessen hat sie schon. Eilig berichtet sie von ihrem Tag und verschwindet in ihrem Zimmer. Gemeinsam mit unserer Besseren Hälfte setzen wir uns zum Ausspannen vor den Fernseher.

21:00 Uhr – Für die Kinder ist es Schlafenszeit

Der Sohn sitzt konzentriert Knöpfe drückend vor seiner Spielekonsole. Die Tochter schreibt kichernd Textnachrichten mit ihrer besten Freundin. Wir erinnern unsere Kinder an die Uhrzeit, schi­cken sie zum Zähneputzen ins Bad und wünschen ihnen anschließend eine „Gute Nacht“. Wieder zurück im Wohnzimmer, schlafen wir bei laufendem Fernseher auf dem Sofa ein.

22:00 Uhr – Nachtruhe

Von der Werbung im Fernsehen geweckt, tapsen wir ins Bad, schalten das Licht ein, putzen unsere Zähne und gehen schließlich zu Bett. Unsere Bessere Hälfte schaut zur Entspannung noch ein Weilchen die aufgenommene Lieblings-Fernsehserie. Im Flur lassen wir das LED-Nachtlicht eingeschaltet. So finden wir nachts sicher den Weg zur Toilette, ohne uns den kleinen rechten Zeh anzusto­ßen, auf den es Türrahmen und Mobiliar stets abgesehen haben.

Gerade, als wir die Gardinen zuziehen, rumpelt eine im Fahrgastraum taghell beleuchtete Straßenbahn die nahegelegenen Schienen entlang. Erschöpft von unserer Kunstlicht-Safari legen wir das Smartphone beiseite, löschen das Licht, schließen die Augen. Statt Schäfchen zählen wir, wie viele beleuchtete Anzeigen und Deko-Lichter, wie viele Lampen und Bildschirme wir heute den Tag über selbst genutzt und wie viele wir indirekt mitbetrachtet haben. Zwischen den sich allmählich for­menden Traumbildern hallt eine leise Frage: Wann haben wir eigentlich das letzte Mal den Mond gesehen? Den Echten? Dann schlafen wir ein.